Saturday, June 03, 2006

Enno Stahl im Gespräch mit Thomas Kapielski

Thomas Kapielski, Maler, Musiker und Autor ist seit seinen “Gottesbeweisen” everybody 's darling. Wie sich das gehört, hat er sich dem Marktdruck nicht verschlossen und bereits zwei Jahre nach seinem großen Erfolg ein umfangreiches Werk nachgelegt. Erneut handelt es sich um jene Sorte autobiografischer Prosa, die ihn berühmt gemacht hat. Wenn man aber weiß, dass der Berliner Tausendsassa bereits in neun Publikationen die witzigen und hanebüchenen Begebnisse seines ungewöhnlichen Lebens verarbeitet hat, fragt man sich unwillkürlich - bleibt denn da noch was übrig?
THOMAS KAPIELSKI: Ja, merkwürdiger Weise doch. Ich hab versucht, so ‘n bisschen, den ulkigen Erzählonkel abzuschütteln, und dieses Buch geht über zwei Jahre und dann kommt noch dieser merkwürdige Jahrtausendwechsel dazu, der ist so die Zäsur in der Mitte, und hat mehr so' n Tagebuchcharakter, aphoristischer Art, gleichwohl ist natürlich wieder sehr viel reine Lüge dabei und hat, da muss ich jetzt meine Familie schützen, die da sehr stark drin vorkommt, hat mit der dann eigentlich gar nichts zu tun.
Dieses Journal, aller möglicher Lügenmärchen zu Trotze, hat besonders da seine Stärken, wo Kapielski wie gewohnt mit Witz und Esprit und aus eigener Anschauung die Schwächen des Kulturbetriebs auseinandernimmt, etwa in der Schilderung seines Auftritts beim Klagenfurter Lesewettbewerb oder auch durch seine abgeklärten Analysen dessen, was den Kunstmarkt im Inneren zusammen hält. Nimmt jedoch der Diarumsstil überhand, so merkt man schnell, dass die tägliche Chronik eben doch nicht soviel hergibt wie die Erinnerung an mehrere zurückliegende Jahrzehnte. Die Historisierung des Erlebten filtert weit mehr die Essenz heraus und schärft den Blick für jene Epiphanien des Alltags, der Kapielski vor vielen anderen zeitgenössischen Autoren ausgezeichnet hat. Als denkender und betrachtender Begleiter des Gegenwärtigen lenkt er die Aufmerksamkeit stark auf die sozialen Veränderungen, die sich momentan auftun. Er spart nicht mit periodisch wiederkehrenden Miszellen, unter anderem gegen die “politische Korrektheit”, die er unter dem Begriff “Sozialmanierismus” subsummiert:
THOMAS KAPIELSKI: Es geht um die Verkitschung des Sozialen, da geht es ganz konkret drum. So ne überdehnte Verkitschtheit in dem Bereich, den man für gewöhnlich das Soziale nennt. Dit geht auf der einen Seite so ins Familiäre rein, auf die Ebene der politischen “Correctness”, in die allgemeine Geldgier, dieses Interesse nur noch an Sex, Geld, Verdienen, aber eben nicht auf so ne naturwüchsige Art, sondern auf eine merkwürdige, in den Kitsch gewendeten Art. Dazu viel Verlogenheit, Selbstzensur, bei Leuten, man hat ständig mit Selbstzensur zu kämpfen, wenn man schreibt, so ne bigotte Sache in der Ausländerpolitik, sehr viel Bigotterien, Frieden und Krieg betreffend, sehr viele Bigotterien, Zuchtpadeier, Erziehung betreffend, also so was wird alles angeschnitten.
Das scheint fast ein wenig konservativ, und tatsächlich sind die Positionen, die Kapielski in diesem Buch einnimmt, für manchen eher unbequem. Einige seiner Fans hat das wohl vergrätzt, seine Lästertiraden gegen die Sachwalter der politischen Korrektionen, gegen ausländische Jugend-ban-den und die Aporien der Integrationspolitik. Vieles schießt gewiss über das Ziel hinaus, aber manches ist nachvollziehbar. Tatsächlich darf man die Augen nicht vor Teilen der Realität verschließen. Man muss etwa bedenken, wenn von Integration die Rede ist, dass auch ausge-spro-chen demokratiefeindliche Werte mitintegriert werden müssten. Dass die Haltungen vieler türkischer Jugendlicher gegenüber Frauen oder gegenüber unserem Staat bisweilen gar nicht zum Selbstverständnis einer westlichen Demokratie passen mögen. Kapielskis Kritik an Warenfetischismus und Geldgier ist, gerade angesichts des ungebremsten “Hardcore”-Kapitalismus der Republik Berlin, sicher nachvollziehbar, aber handelt es sich hier nicht eher um einen klassischen, schnöden Materialismus?
THOMAS KAPIELSKI: Der Begriff des Materialismus verwirrt, den muss man eine Weile liegen lassen, bis man ihn wieder verwenden kann. Der Begriff Materialismus ist durch den Marxismus und diese merkwürdige Gegenüberstellung von Idealismus und Materialismus zur Zeit etwas gelähmt und unbrauchbar geworden. Den würde ich erst mal ruhen lassen, währenddessen der Begriff des Manierismus, da er auch sehr ästhetisch angelegt ist und auf ästhetische Phänomene zielt, glaub ich, dass der im verblüffenden Zusammenhang mit “sozial” durchaus irgendwie Erkenntniswert haben kann.
Die zwei Jahre, die Kapielski in seinem Buch reflektiert und dokumentiert, was ist ihre Besonderheit? Was zeichnet sie aus, was ist der Grund für Kapielski, darüber zu schreiben?THOMAS KAPIELSKI: Also zunächst mal, weil man sie einfach lebt und um sie überhaupt verdauen zu können, ständig sich Gedanken macht oder Bier trinkt oder andere Bücher liest, und unreflektiert würde ich vor die Hunde gehen, also ich muss auf einer Schiene meines Lebens doch in irgendner Weise versuchen, mir Klarheit zu verschaffen. Wenn auch Klarheit teilweise durch Vernebelung, das kann sehr paradox sein, deshalb hab ich mal versucht, zwei Jahre so aphoristisch zu begleiten, sehr subjektiv und daraus ist n Buch geworden, ich weiß noch nicht, wie die Öffentlichkeit darauf reagiert, es kann auch sein, dass ich Vorwürfe bekomme, weil es sehr reaktionär zu sein scheint oder es entspricht nicht der politischen “Correctness”, ich weiss es noch nicht.
Leben ist Denken und Reflektieren für Kapielski, aber was ist sein Schreiben für ihn? Dient es ebenfalls dem Erkenntnisgewinn?
THOMAS KAPIELSKI: Im Prinzip ist es Bekämpfung der Langenweile und vormittags setz ich mich einfach hin und mach dis, und dann freu ich mich, wenn es ein Uhr ist, und ich hab den Tag schon fast geschafft, zumal ich sehr früh aufstehe. Ja, ich mach es jetzt, weil es funktioniert. Das ist auch wieder so ne psychische Variante. Warum komponiert einer ständig, einfach weil er das Gefühl hat, dass es funktioniert. Auch wenn ‘s Mühe macht oder so, also von Spaß will ich gar nicht reden, Spass ist keine Kategorie.
Das sind andere Töne, gerade der Spassfaktor schien bei Kapielski besonders hoch zu sein. Aber wir wissen es ja, dass die Kunst schön ist, aber viel Arbeit macht.

satt.org 11-01

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