Tuesday, September 06, 2011

Das Dilemma der Wirklichkeitsverweigerer

Matthias Küntzel im Perlentaucher:
Soviel Rachegefühl macht perplex. Die Wut lässt sich mit keinem wie auch immer gearteten Text Henryk Broders erklären, da Kritik oder Polemik etwas anderes sind als Massenmord. Es scheint, als habe Breiviks Massaker ein Fenster geöffnet, als hätten sich lang aufgestaute Emotionen jetzt erst ihre Bahn brechen können.
Es ist leichter, diesen Affekt zu beschreiben, als ihn zu erklären. Sicher aber ist, dass er Wirkung erzielt: Die ohnehin viel zu schwache Kritik am Islamismus ist in Deutschland seit Oslo und Utöya noch leiser geworden, so als fürchte man, mit Stichworten wie „Scharia“ oder „Djihad“ weitere Attentate zu provozieren. Oguz Ücüncü, der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, klagt, dass die Bundeskanzlerin überhaupt „noch vom ‘islamistischen Terror’ spricht. … Spätestens nach den Anschlägen in Norwegen sollte klar sein, dass Terrorismus … keine Religion hat.“
Mit der Entrüstungswelle tauchte zugleich eine neue Wortschöpfung, das Schimpfwort „Anti-Islamismus“ auf. Es geht auf Wolfgang Benz, den ehemaligen Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, zurück. Dieser hatte am 4. 11. 2010 in der Jüdischen Allgemeinen erstmals vor den „strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Antisemitismus und Anti-Islamismus“ gewarnt. Seit Breiviks Massaker haben große Tageszeitungen wie die Süddeutsche, die Frankfurter Rundschau und der Tagesspiegel nachgezogen und ihren Wortschatz um den Begriff des „Anti-Islamismus“ als Synonym für Muslimfeindschaft ergänzt.
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