Monday, August 19, 2013

Welchen Weltkrieg hätten’s denn gern?

In seiner Funktion als Andreas Meitzner hat der Leiter des Referats „Strategie und Planung Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, bzw. der stellvertretende Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt, sowie das stellvertretende Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ (als Nachfolger für die ausgeschiedene Jutta Frisch) es mit der deutschen Geschichte nicht immer leicht.
Sein Gesellenstück in Warschau gelang Meitzner eigentlich recht gut und die Polen mussten einsehen, dass „Flucht und Vertreibung“ selbstverständlich ein größeres Unrecht waren, als der Überfall auf sie am 1.9.1939; oder der Überfall auf die Sowjetunion knapp zwei Jahre danach.
Ist den Polen diese späte, aber aus deutscher Sicht sehr schmeichelhafte Ansicht und Einsicht vielleicht im Austausch für einige Gefälligkeiten gedämmert? Niemand kann es wissen, und alle, die es wissen müssten, solche Leute wie Herr Meitzner, halten den Mund. Doch da der Mensch mit seinen Aufgaben wächst, soll AA-Meitzner sein Meisterstück in Sachen Geschichtsrevisionismus nun auf gesamteuropäischer Bühne vollbringen; er hat alle hierzu nötigen Funktionen in Gesellschaft und Staat (s.o.).
Immerhin schwant im nächsten Jahr ein nicht eben unwesentlicher Jahrestag: Hundert Jahre Erster Weltkrieg. Meitzner, übernehmen Sie!
Zu diesem Datum täte es gut, so das AA, die Ausländer daran zu erinnern, sich mit ihren Feierlichkeiten ein wenig bedeckt zu halten, und sich nach Möglichkeit auch ein bisschen mitschuldig zu fühlen dafür, dass sie den Ersten Weltkrieg angezettelt und dann auch noch für sich entschieden haben. Warum? Um es sich mit dem wiedergutgewordenen Deutschland nicht schon wieder zu verscherzen! Denn, so Meitzner: Wenn alle sich nur ein kleines bisschen schuldig fühlen, ist keiner mehr Schuld. Apropos: Welche Episode käme als nächstes dran, liebes AA? Wo jährte sich erst letztens ein runder Jahrestag? 80 Jahre Machtergreifung? In Germany war das kein Thema.
In diesem Sinne ist AA-Meitzner, Geschichtsrelativismus und -revisionismus en gros und détail (s.o.) denn auch in London vorstellig geworden; wer weiß, wo er vorher schon überall war.
Seinem britischen Counterpart Andrew Murrsion, Mitarbeitern des Foreign and Commonwealth Office sowie des Ministeriums für Kultur, Medien und Sport unterbreitete Herr Meitzner die Offerte, dass Germany, wenn man sich auf den britischen Inseln mit dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg ein ganz klein wenig zurückhalten würde, dem United Kingdom vielleicht ein paar mehr Freiheiten in Europa heraushandeln könnte. Fair and square – oder etwa nicht?
Vom erinnerungspolitischen Kuhhandel, den der Herr aus Germany vorschlug, war man in der britischen Öffentlichkeit not amused. Immerhin fand man es etwas üppig, dass dieses wiedergutgewordene Deutschland nun auch noch bestimmen will, wie die Opfer von damals sich heute anzufühlen haben. Auch war man bis zuletzt davon ausgegangen, dass in Berlin dieselben historischen Fakten in den Geschichtsbüchern stehen, wie sonst überall auf der Welt. Zumindest, wenn es um den Ersten Weltkrieg geht. Aber so ist das anscheinend, wenn die Verlierer ihre eigene Geschichte schreiben.
AA-Meitzner indes hat in London nicht nur rumgestänkert seine Bedenken bezüglich des britischen Gedenkens geäußert, sondern auch ein paar konstruktive Vorschläge gemacht. Und zwar dazu, wie er und die offizielle deutsche Außenpolitik das Gedenken an den Ersten Weltkrieg gerne hätten: nämlich als Memento Mori über die großen Gemeinsamkeiten der Gattung.
Vor allem die eine: Am Ende sind wir alle tot. Ist es nicht beruhigend und bequem, dass in diesem „Gedenk“-politischen Walhall jedes Who-dunnit und andere moralisch unbequeme Fragen suspendiert erscheinen, Herr Meitzner? Angesichts der offiziellen deutschen „Gedenk“-Politik mit diplomatischen Mitteln fühlt man sich an John Davidsons unsterbliche Zeilen erinnert: „That no idea minifies its crude / And yet elaborate ineptitude.“*
Aber es kommt noch besser. Als treuer Byzantiner jener europäischen Idee, die im Grunde die von Kaiser Willems „Platz an der Sonne“ eine Nummer kleiner ist, möchte Herr Meitzner, dass die EU beim Gedenken an den Ersten Weltkrieg ein bisschen besser wegkommt, als bisher geplant. Mehr so in Richtung „Garant von Frieden und Völkerfreundschaft“. Schließlich war es nicht die NATO, die jahrzehntelang ein fragiles geostrategisches Gleichgewicht in der Balance gehalten hat, sondern die EU. Lachen da die Hühner? Nein, sie lachen leider nicht.
Das also wären die Geschichte und der Erste Weltkrieg, wie Deutschland und sein AA sie gerne hätten: Eine Welt, in der sich alle dafür schuldig fühlen, dass es 1914 noch keine EU gegeben hat, vor allem aber kein Europa unter deutscher Führung. Das ist, kurz gesagt, die Lehre, die man im AA aus dem Ersten Weltkrieg gezogen hat, und die man nun auch alle anderen Nationen Europas (die überwiegend aus unter Germany leidtragenden bestehen) beibringen möchte; alles andere wäre ja auch irgendwie blöd fürs deutsche Ansehen in der ganzen Welt. Und wer brav ist und sich anstelle des Rechtsnachfolgers des Deutschen Kaiserreichs ein bisschen schuldig für den Ersten Weltkrieg fühlt, dem wird sein Dispo in Europa erhöht.
Es ist an dieser Stelle nur an zwei, drei wesentliche deutsche Innovationen im Ersten Weltkrieg zu erinnern: Der erste Einsatz eines Elektrozauns zwischen Belgien und den damals neutralen Niederlanden. Die erste Bombardierung von Zivilisten aus der Luft (am 6. August 1914 durch deutsche Zeppeline in Liège) und von der See, am 16. Dezember 1914 in Scarborough, Hartlepool und Whitby. Und zwischendurch war da auch noch der erste Einsatz von Giftgas, am 27. Oktober 1914 gegen britische Einheiten in Neuve-Chapelle, Frankreich.
Vor dem Hintergrund so vieler Firsts ist es einigermaßen bemerkenswert, dass Herr Meitzner und die offizielle deutsche Außenpolitik andere Nationen daran erinnern möchten, auf welche Art sie an den Ersten Weltkrieg zu gedenken und damit auch Deutschlands Rolle zu betrachten haben: bitte recht freundlich! Aber Freundlichkeit allein muss ja kein Hindernis auf dem Weg zu mehr „Frieden und Verständigung in Europa“ sein.
*Davidson, John: Fleet Street and Other Poems. London, 1909. Aus dem Gedicht „London Bridge“.
tw24

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