Saturday, December 21, 2013

Schweizer Aussenminister befürchtet Untergang der EU

«Potenzielle Implosion der europäischen Konstruktion»: Laut einem vertraulichem Protokoll ist der Aussenminister pessimistisch, was die Zukunft der EU betrifft.Auf die Frage, weshalb es der Bundesrat bei den bevorstehenden Verhandlungen mit der EU über ein institutionelles Abkommen derart eilig hat, gab es bisher immer dieselbe Antwort: Das unmittelbar bevorstehende, kurze Zeitfenster sei deshalb günstig, weil die EU-Führung in einem Jahr wechsle. Zudem sei der jetzige Präsident der EU-Kommission, José Manuel Durão Barroso, der Schweiz wohlgesinnt. Barroso wurde am 16. September 2009 vom Europäischen Parlament für eine zweite Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Das Kandidatenkarussell für die Nachfolge des Portugiesen dreht sich bereits. Die ­EU-Kommission wird im Herbst nach den Europaparlamentswahlen vom kommenden Juni neu bestellt. Welches die Haltung der neuen EU-Führung gegenüber der Schweiz ist, sei offen, hiess es dazu im Bundeshaus. Wie die BaZ aus zuverlässigen Quellen erfahren hat, nannte Bundesrat Didier Burkhalter im Oktober vor den Aus­senpolitikern des Nationalrats noch andere Gründe für das Eiltempo des Bundesrats bei den Verhandlungen mit der EU. Burkhalter will die Verhandlungsresultate bis Oktober 2014 in der Tasche haben. Die EU sei von 2015 an durch Diskussionen über die Position Grossbritanniens absorbiert, sowie durch eine «potenzielle Implosion der europäischen Konstruktion». Burkhalter nannte dies «une implosion potentielle de la construction européenne». Festgehalten ist diese Aussage, die zwei voneinander unabhängige Quellen gegenüber der «Basler Zeitung» bestätigten, auch im vertraulichen Sitzungsprotokoll der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats. Die brisante Aussage des Aussenministers fiel in der Sitzung der APK des Nationalrats vom 21. und 22. Oktober in Genf.Bemerkenswert ist diese Ausführung Burkhalters auch deshalb, weil sich gestern Hinweise verdichteten, ­wonach gleich drei Bundesräte am ­Mittwoch die Öffentlichkeit nur unvollständig informierten. Zuvor hatte der Bundesrat das Verhandlungsmandat mit der EU verabschiedet, das zu einer Stärkung des bilateralen Wegs mit der EU führen soll. Stellung nahmen vor den Medien Didier Burkhalter, Eveline Widmer-Schlumpf und Alain Berset. Gestern berichtete der «Tages-Anzeiger» aufgrund eines vertraulichen Papiers von massiver Kritik der Kantonsregierungen am geplanten Anwendungs­bereich eines neuen institutionellen ­Abkommens. Demnach habe Didier Burkhalter die «teils massiven Einwände in sein am Mittwoch dem Gesamtbundesrat präsentiertes Aussprachenpapier zum definitiven Verhandlungsmandat mit der EU integriert, aber nicht öffentlich gemacht». In der Tat hatte Burkhalter in der fraglichen Medienkonferenz vor allem betont, dass sowohl die Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat, die Wirtschaftskommissionen beider Räte sowie die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) sehr deutlich hinter dem Verhandlungsmandat stünden. Dies trifft formell auch zu. Nur zeigt das klassifizierte Papier, über das der «Tages-Anzeiger» verfügt, was die Kantone in welcher Tonalität bemängeln. So kreiden sie dem Bundesrat an, die Kantone hätten sich bei der europapolitischen Standortbestimmung vom 25. Juni 2010 dafür ausgesprochen, den Anwendungsbereich «zumindest vorläufig auf künftige Abkommen mit der EU zu beschränken». Man sei auch aufgrund der Stellungnahme der ­Landesregierung vom 1. Juni 2012 ­davon ausgegangen, dass sich die damaligen Vorschläge des Bundesrats ausschliesslich auf künftige Abkommen beschränkten. Jetzt aber schlage der Bundesrat vor, dass ein institutionelles Abkommen auf zukünftige und bestehende sektorielle Abkommen angewendet werden dürfe. Generell schrieben die Kantone dem Bundesrat zum «Anwendungsbereich eines zukünftigen institutionellen Abkommens»: «Die Vorschläge des Bundesrats erscheinen nicht schlüssig und bergen die Gefahr in sich, dass bestehende Abkommen gefährdet werden. Der Begriff ‹Abkommen mit Bezug zum EU-Binnenmarkt› ist sehr schwammig und könnte beispielsweise auch das Freihandelsabkommen von 1972 umfassen. Zudem soll in einem institutionellen Abkommen die Pflicht zur Übernahme von künftigen Rechtsentwicklungen der EU verankert werden, während eine solche Pflicht bei einer ganzen Reihe von bestehenden sektoriellen ­Abkommen nicht besteht», wird kritisiert. Und schliesslich erscheine es nicht zielführend, «an der Nichtübernahme gewisser Rechtsakte festzuhalten und gleichzeitig zu akzeptieren, dass Weiter­entwicklungen solcher nicht übernommener Rechtsakte übernommen werden müssen». Für die Kantone steht deshalb fest, dass ein Abkommen in jedem Fall «Ziel, Zweck und Inhalt» einiger der bestehenden sektoriellen Abkommen ­ändern würde. Klar wird aufgrund ­solcher Aussagen, dass die Kritik der Kantone deutlich heftiger ausfiel, als dies die Darstellung der drei Bundes­räte am Mittwoch erahnen liess. Stellungnahmen der KdK entsprechen immer einer konsolidierten Mehrheit. Sie kommen jeweils nur zustande, wenn ihnen mindestens 18 Kantone – repräsentiert durch ein Regierungsrats­mitglied – zustimmen.
bazonline

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